
geb.: 22.4.1920 in Freiburg
gest.: 9.11.2014 in Kilchberg, Schweiz
Beruf: Organistin
Bahnhofstr. 28, Emmendingen
Romaneistr. 21, Emmendingen
Silberbachstr. 11, Freiburg
Aus: Freiburg nach: St. Gallen, Schweiz
Aus: St. Gallen, Schweiz nach: Sierre, Wallis, Schweiz
Aus: Sierre, Wallis, Schweiz nach: Genf, Schweiz
Aus: Genf, Schweiz nach: Bilbao, Spanien
Aus: Bilbao, Spanien nach: Havanna, Kuba
Transportmittel: Schiff SS Marques de Comillas
Aus: Havanna, Kuba nach: Miami, Florida, USA
Transportmittel: Flugzeug
Aus der Schweiz emigriert Vater Franz Günzburger mit den Zwillingen Lisbet und Susi. Ehefrau Margarete war bereits im April 1937 in die USA emigriert. In Havanna holte Margarete Günzburger ihre Familie ab. Zu viert flogen alle nach Miami und von dort weiter nach Okolahoma City.
Aus: Miami, Florida, USA nach: Oklahoma City, Oklahoma, USA
Mutter:
Margarethe Günzburger, geb. Bloch
geb. am 1.4.1894 in Mühlhausen, Elsass
gest. am 17.12.1982 in St. Gallen, Schweiz
Vater:
Franz Günzburger
geb. am 28.5.1888 in Emmendingen
gest. am 1.9.1956 in Bern, Schweiz
Susi Nickler, geb. Günzburger
geb. am 22.4.1920 in Freiburg
gest. am 4.12.2011 in Bern, Schweiz
Hochzeitsdaten unbekannt
Warren Perry Thew
geb. am 10.4.1927 in Fairport Monroe, New York, USA
gest. am 31.12.1984 in Zürich, Schweiz
Lisbet und ihre Zwillingsschwester Susi Günzburger wurden am 22. April 1920 in einer Freiburger Klinik geboren. Ihre Eltern sind Margarethe und Franz Günzburger. Franz Günzburger hatte in Emmendingen die väterliche Sackfabrik Günzburger & Haas inne. Die Familie wohnte in der Bahnhofstraße 28 und zog am 1. Oktober 1922 ins eigene Haus in der Romaneistraße 21.
Bis Ostern 1928 besuchten die Zwillinge die Volksschule in Emmendingen. Nachdem Franz Günzburger die Firma 1927 nach Freiburg-St. Georgen verlegt hatte, ließ sich die Familie Günzburger Mitte Februar 1928 in der Silberbachstraße 11 im Freiburger Stadtteil Wiehre nieder. Dieses Anwesen hatte das Ehepaar Günzburger am 28. November 1927 gekauft. Bis Ostern 1931 waren die beiden Mädchen auf der Privatschule Helene Pfeiffer und bis September 1935 auf der Hindenburgschule, einer Mädchenoberrealschule in Freiburg. Lisbet Günzburgers Abschlusszeugnis enthält bis auf eine Drei in Zeichen lauter Zweien und deiner 1 in Turnen. Unter den Noten steht: „Lisbet zeichnet sich durch eine ausgesprochene Gleichmäßigkeit in ihrer äusseren Haltung und in ihrem geistigen Streben aus, kommt zu guten Leistungsergebnissen.“
Weil den Jüdinnen der Besuch der Höheren Schule in Deutschland verwehrt war, wurden die Mädchen nach Abschluss der Obertertia (neunte Klasse) in die Oberrealschule in St. Gallen eingeschult. Margarethe Günzburgers Mutter stammte aus St. Gallen. Am 20. Juni 1958 beschreibt Lisbet Thew-Günzburger ihren Werdegang im Rahmen ihres Wiedergutmachungsantrags: „Schon im frühen Schulalter hatte ich die Absicht, ein akademisches Studium zu absolvieren. Demgemäss hätte ich 1934 zu Beginn der Untertertia in die Abteilung Realgymnasium der Hindenburgschule eintreten sollen.“ Aber Jüdinnen durften die Höhere Schule nicht mehr besuchen. Lisbet besuchte stattdessen wie ihre Schwester die Oberrealschule, um sich auf das sogenannte „Einjährige“ vorzubereiten. Nach der Obertertia (neunte Klasse) verließen die Zwillinge Freiburg und besuchten die Mädchensekundar- und Töchterschule St. Gallen. Ihre Großmutter mütterlicherseits stammte von dort. „Ich versuchte zunächst, an der Kantonsschule in St. Gallen anzukommen, um dort die Matura machen zu können. Meine Vorbildung von der Oberrealschule her erwies sich jedoch als ungenügend. Die allgemeine Lage für Flüchtlinge war inzwischen auch so geworden, dass es ratsam erschien, eine Mittelschulbildung zu wählen, die so rasch wie möglich zu einem in sich geschlossenen Abschluss führen würde. So trat ich in die Handelsabteilung der Mädchenrealschule Talhof ein und machte dort 1938 das Handelsdiplom. Damit war für mich ein akademisches Studium vorerst verunmöglicht. Als eine Art Kompromiss-Lösung schien sich eine Ausbildung am Lehrer-Seminar in Rorschach zu zeigen. Um dort aufgenommen zu werden, brauchte es aber ein sogenanntes 'Literar-Diplom' von derselben Mädchenrealschule. Dieses erwarb ich im Frühjahr 1939. Es lagen aber in jenem Frühjahr mehr Anmeldungen am Lehrer-Seminar vor, als angenommen werden konnten, und so wurde ich als Ausländerin automatisch ausgeschlossen. In der Folgezeit machte ich noch ein paar praktische Kurse mit und führte dann von 1940 bis zu unserer Auswanderung nach den Vereinigten Staaten (Herbst 1941) meinen Eltern den Haushalt. Dies war in Sierre (Kanton Wallis).“
Ihr Handelsdiplom machte Lisbet Günzburger mit zehn Einsen und sechs 1-2, ihr Literardiplom mit sechs Einsen, drei 1-2 und zwei Zweien.
Im Frühsommer 1939 hatte Franz Günzburger seine Mutter Lina in die Schweiz geholt. Am 12. Juli 1941 begleiteten Franz und Margarethe Günzburger Lina Günzburger an den Zug. Von Genf aus emigrierte sie über Spanien zu ihrer Tochter Anna Odenheimer in die Vereinigten.
Die Zwillinge hatten Spaß daran, junge Männer mit ihrer Ähnlichkeit durcheinander zu bringen. Wenn sie zum Tanzen ausgingen, ging manchmal die eine für die andere, um sich zu amüsieren, den Mann zu verwirren oder loszuwerden.
Im Oktober 1941 verließ die Familie Günzburger die Schweiz. Von Genf reiste sie durch das besetzte Frankreich nach Bilbao. Am 10. Oktober 1941 reisten die vier mit der SS Marques de Comillas nach Havanna. Am 17. Juni 1942 konnte die Familie endlich von Kuba nach Miami fliegen und reiste nach Oklahoma City weiter. Sie lebte dort in der 34. Straße, 228 North-West.
„Erst nach unserer Ankunft in den Staaten (17. Juni 1942) konnte ich wieder an mein so lang erwünschtes akademisches Studium denken, weil dort eine Matura im europäischen Sinn nicht erforderlich ist. Ich rückte meinem Ziel, Musikwissenschaft zu studieren um ein Beträchtliches näher, als ich im Herbst 1942 an der 'Eastman School of Music of the University of Rocherster' in Rochester, N.Y. aufgenommen wurde. Dort erlangte ich 1945 (in drei statt in vier Jahren und mit Auszeichnung) meinen ersten akademischen Grad 'Bachelor of Music'. Dieser Grad wird durchschnittlich mit 21 Jahren erworben. Da ich aber erst mit 22 Jahren mein Studium beginnen konnte, war ich trotz hart konzentrierter, beschleunigter Arbeit 25 Jahre alt, als ich ihn erhielt. Erst nach Erlangung dieses Grades, welches der Erwerbung breiter musikhistorischer und musiktheoretischer Grundlagen sowie der Ausbildung im Orgelspiel diente, konnte ich mich dem musikwissenschaftlichen Studium zuwenden. Diesen Teil des Studiums verdiente ich mir zum größten Teil selbst, als Assistentin eines meiner Professoren, durch Sprachunterricht, durch Arbeit an der Musikbibliothek und als Organistin. Im Frühjahr 1949 erhielt ich dann meinen zweiten akademischen Grad ‚Master of Music‘, was ungefähr einem Lizensiat entspricht. Ich war damals 29 Jahre alt. Hätte ich von Anfang an meine Studien einigermassen normal verfolgen können, so hätte ich schon in diesem Alter mein Doktor-Examen (was eigentlich zu diesem Studium gehört) hinter mich gebracht. So aber musste ich mich mit einem ‚Master’s Degree‘ begnügen. Dies ist natürlich ein bedeutender Schaden und ein bleibender Schaden, der mir aus der durch die Rasseverfolgung bedingten Studienverzögerung erwachsen ist.“
1948 kehrten ihre Eltern und ihre Schwester in die Schweiz zurück. Franz Günzburger litt an der Parkinsonschen Krankheit und ließ sich in der Schweiz behandeln. Susi Günzburger heiratete in der Schweiz Otto Nickler. Zwischen 1952 und 1961 bekam das Ehepaar zwei Töchter und einen Sohn.
Lisbet Günzburger hatte an der Eastman School of Music den 1927 in Fairport New York geborenen Warren Thew kennengelernt und geheiratet. Laut seinem Wikipedia-Eintrag hatte er sich zum Pianisten und Komponisten ausbilden lassen. Von 1951 bis 1956 war er in Washington D.C. als Solist, Kammermusiker und Liedbegleiter aktiv und improvisierte auf dem Klavier bei Stummfilm-Präsentationen. Leider gibt es keinen Wikipedia-Eintrag zu Lisbet Thew-Günzburger.
1956 übersiedelte das Ehepaar in die Schweiz und wohnte fortan in Kilchberg im Kanton Zürich. Nun konnten die Zwillinge das Verwechslungsspiel wieder aufnehmen. Während eines Konzerts von Warren Thew bemerkte ein Mann dessen Frau in einem blauen Kleid. In der Pause sprach er sie an. Da trug sie aber ein rotes Kleid. "Das ist aber eine vornehme Dame, die sich am gleichen Abend umkleidet", sagte er nach dem Konzert.
Am 1. September 1956 starb Franz Günzburger im Berner Salem Spital im Alter von 68 Jahren an Herzinsuffizienz. Margarethe Günzburger kehrte in die USA zurück, lebte aber seit den 1960er Jahren wieder in der Schweiz und starb am 17. Dezember 1982 mit 88 Jahren in St. Gallen. Am 31. Dezember 1984 starb Warren Thew in Thalwil nach längerer Krankheit.
1999 war Lisbet Thew-Günzburger auf Einladung der Stadt in Emmendingen.
Das Zwillingsspiel funktionierte auch in hohem Alter noch. An ihrem 90. Geburtstag ging die ganze Familie in einem Restaurant essen. Der Taxifahrer half Susi Nickler die Treppe hinunter zum Taxi. Er staunte nicht schlecht, als ihn danach eine zweite Frau erwartete, die genauso aussah.
2011 starb Susi Nickler in Bern. Am 9. November 2014 starb Lisbet Thew-Günzburger in Kilchberg.
Dorothea Scherle
Lisbet Thew-Günzburger (Quelle: Privatarchiv Familie Nickler Leroux).
Die Silberbachstraße 11 in Freiburg (Quelle: Screenshot Google Streetview).
Margarethe und Franz Günzburger mit den Zwillingen in Emmendingen (Quelle: Privatarchiv Familie Nickler Leroux).
Margarethe Günzburger mit den Zwillingen in Emmendingen (Quelle: Privatarchiv Familie Nickler Leroux).
Lisbet und Susi Günzburger im Exil in Sierre in der Schweiz (Quelle: Privatarchiv Familie Nickler Leroux).
Susi, Margarethe, Franz und Lisbet Günzburger auf der Reise nach Kuba (Quelle: Privatarchiv Familie Nickler Leroux).
Warren Thew, der Ehemann von Lisbet Thew-Günzburger (Quelle: Ancestry).
Warren Thew, der Ehemann von Lisbeth Thew-Günzburger (Quelle: Sent online).
Margarethe und Franz Günzburger in der Peachtreestreet in Atlanta (Quelle: Privatarchiv Familie Nickler Leroux).
Margarethe und Franz Günzburger (Quelle: Privatarchiv Familie Nickler Leroux).
Lisbet Thew und Susi Nickler im hohen Alter in der Schweiz (Quelle: Privatarchiv Familie Nickler Leroux).
Lisbet Thew (rechts) mit ihren Nichten und Neffen Christina, Reto und Lisbeth (Quelle: Privatarchiv Familie Nickler Leroux).
Auswanderungsdokument aus der Schweiz 1941 von Lisbet Günzburger (Quelle: Ancestry).
Flug in die Freiheit: Passagierliste mit den Namen von Franz, Margarethe, Susi und Lisbet Günzburger vom 17. Juni 1942 (Quelle: Ancestry).
Passagierliste aus dem Jahr 1948 mit dem Namen von Franz, Margarethe, Susi und Lisbet Günzburger. Reise von New York nach Cherbourg in Frankreich (Quelle: Ancestry) .
Passagierliste aus dem Jahr 1950 mit dem Namen von Lisbet Günzburger. Sie reist mit der SS Liberté von Le Havre nach New York (Quelle: My Heritage).
Passagierliste mit dem Namen der Zwillinge Susi Nickler und Lisbet Thew-Günzburger vom April 1953. Die Schwestern reisten von New York nach Cherbourg in Frankreich (Quelle: Ancestry).
Wohnsitz von Lisbet Thew-Günzburger und ihrem Ehemann Warren Thew 1956 in Kilchberg bei Zürich in der Schweiz (Quelle: Ancestry).
Passagierkarte aus dem Jahr 1962 mit dem Namen von Lisbet Thew-Günzburger. Reise von Luxemburg nach New York (Quelle: Ancestry).
Traueranzeige von Lisbet Thew-Günzburger, die 2014 in der Schweiz verstorben ist (Quelle: Privatarchiv Familie Nickler Leroux).
Abschrift des Abgangszeugnisses von Lisbet Günzburger nach der neunten Klasse an der Hindenburgschule in Freiburg (Quelle: StaF F 196/1 Nr. 11904).
Abschrift des Handels-Diploms von Lisbet Günzburger (Quelle: StaF F 196/1 Nr. 11904).
Abschrift des Literar-Diploms von Lisbet Günzburger (Quelle: StaF F 196/1 Nr. 11904).
In den USA hatte Lisbet Günzburger den akademischen Grad "Master of Music" erreicht (Quelle: StaF F 196/1 Nr. 11904).
| Archiv | Quelle | Signatur |
|---|---|---|
| Stadtarchiv Emmendingen | Meldekarte | – |
| Staatsarchiv Freiburg | F 196/1 Nr. 11904 | |
| Privatarchiv Familie Nickler Leroux | – | |
| My Heritage | Jewish Holocaust Memorials and Jewish Residents of Germany 1939-1945 | – |
| My Heritage | Ellis Island und andere New York Passagierlisten, 1820-1957 | – |
| My Heritage | US-Stadtverzeichnisse | – |
| My Heritage | Autoren wissenschaftlicher Artikel | – |
| Ancestry | Überseeische Auswanderungen aus der Schweiz, 1910-1953 Passagierlisten Florida, 1898-1963 | – |
| Ancestry | USA, Listen abreisender Passagiere und Mannschaften, 1914-1966 | – |
| Ancestry | New York State, Passagier- und Besatzungslisten, 1917-1967 | – |
| Ancestry | Jahrbücher von US-Schulen, 1900-1999 | – |
| Wikipedia | Warren Thew | – |
| Sent online | Persunas artists | – |
| Google Streetview | – |