geb.: 8.10.1920 in Freiburg
gest.: 2.12.1952 in Freiburg
Beruf: Kaufmann, Schlosser
Markgrafenstr. 26, Emmendingen
Landvogteistr. 6, Emmendingen
Karl-Friedrich-Str. 38, Emmendingen
Schifferstadt
Konzentrationslager Dachau
Karl-Friedrich-Str. 38, Emmendingen
Frankfurt
Karl-Friedrich-Str. 38, Emmendingen
Aus Emmendingen nach Gurs
nach: Durchgangslager Drancy, besetztes Frankreich
nach: Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, besetztes Polen
nach: Konzentrationslager Jawischowitz, besetztes Polen
nach: Konzentrationslager Buchenwald
nach:
Mutter:
Sofie Weinstock, geb. Heilbrunner
geb. am 31.7.1884 in Emmendingen
gest. am 14.8.1942 in Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, besetztes Polen
Vater:
Jakob Weinstock
geb. am 17.11.1879 in Wellhausen
gest. am 2.2.1925 in Freiburg
Friedrich Weinstock
geb. am 18.7.1911 in Emmendingen
gest. am 1945 in Indochina
Hochzeit am: 8.6.1946
in: Emmendingen
Elsa Weinstock , geb. Porsch
geb. am 26.1.1922 in Emmendingen
gest. am 22.4.1986 in Freiburg
J. Weinstock
geb.: 1946
Sonja Gabriele Böhler-Weinstock
1949 – 2012
geb. am 4.12.1949 in Emmendingen
gest. am 25.9.2012 in unbekannt
Rolf Weinstock, geboren am 8. Oktober 1920 in Freiburg, ist der einzige in Emmendingen aufgewachsene Jude, der das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überlebt hat. Sein 1948 in Deutschland erschienener Erinnerungsbericht ''Das wahre Gesicht Hitler-Deutschlands'' gilt als eines der ersten Bücher über die Judenvernichtung in der Zeit des Nationalsozialismus.
Rolf Weinstock war der Sohn des Kaufmanns Jakob Weinstock (1879–1925) und Sofie Weinstock, geborene Heilbrunner (1884–1942) und wuchs in Emmendingen auf. Als er vier Jahre alt war, starb sein Vater. Nach der Volksschule absolvierte Weinstock im Emmendinger Textil- und Aussteuergeschäft Emanuel Schwarz / Benjamin Weil, Markgrafenstr. 2, eine kaufmännische Ausbildung. Die Familie Weinstock lebte nach dem Tod Jakob Weinstocks noch bis 1931 in der Markgrafenstraße 26, wo Sofie Weinstock die elterliche ''Markgrafenbrennerei'', eine Feinkost-, Wein- und Zigarrenhandlung führte, ab Juli 1931 bis Juli 1937 in der Landvogteistr. 6, Emmendingen, und seit März 1937 in der Karl-Friedrich-Str. 38.
Rolf Weinstocks Halbbruder Fritz Weinstock (1911–1945) war Mitglied der SPD und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Fritz Weinstock am 20. Mai 1933 in Emmendingen verhaftet, im Polizeirevier in „Schutzhaft“ genommen und auf Weisung von NSDAP-Kreisleiter Theo Rehm auf dem Weg ins Gerichtsgefängnis durch Hilfspolizei bzw. SA schwer misshandelt. Anfang Juni 1933 flüchtete er nach Frankreich.
Um seine erste Arbeitsstelle anzutreten, zog Rolf Weinstock am 20. April 1938 in die pfälzische Kleinstadt Schifferstadt, wo er als kaufmännischer Angestellter im Kaufhaus Oskar Bender Anstellung gefunden hatte. In Schifferstadt wurde er im Verlauf der Novemberpogrome am Abend des 10. November 1938 in „Schutzhaft“ genommen, kam zunächst in das Gefängnis von Speyer und wurde über Ludwigshafen am Rhein ins KZ Dachau deportiert. Als er nach mehrmonatiger KZ-Haft vermutlich im März (oder zum 1. Mai) 1939 in Dachau entlassen wurde und für wenige Wochen nach Emmendingen zurückgekehrt war, wurde ihm im dortigen Bezirksamt als „Rolf Israel Weinstock“ am 9. März 1939 die „Jüdische Kennkarte“ und mit großem aufgedruckten „J“ ausgestellt. Am 1. Mai 1939 meldete er sich nach Frankfurt am Main, Elkenbachstr. 22, ab, wo er bis zum 5. Oktober 1940 eine Ausbildung zum Schlosser begann. In Frankfurt lernte er die gleichalte Sessi Adler kennen, die Damenschneiderin von Beruf war. Mit ihr und ihren Eltern Selma und Leopold Adler plante er die Emigration in die Vereinigten Staaten. Aber am 5. Oktober 1940 besuchte er während seines Urlaubs seine Mutter Sofie Weinstock und seine Großmutter Nanette Heilbrunner (1859-1941) in der Karl-Friedrich-Str. 38.
Dort wurde Rolf Weinstock mit seiner Mutter und Großmutter am frühen Morgen des 22. Oktober 1940 im Rahmen der „Wagner-Bürckel-Aktion“, der Deportation von über 6500 badischen und saarpfälzischen Jüdinnen und Juden, verhaftet und zusammen mit weiteren 65 Emmendinger Juden mit einem Autobus zu einer Halle am Güterbahnhof von Freiburg gefahren. Am Abend des 23. Oktober 1940 wurden sie von dort in einer drei Tage und vier Nächte dauernden Zugfahrt über Breisach, Mulhouse, Chalon-sur-Saône, Lyon und Toulouse in das Internierungslager Camp de Gurs im unbesetzten Teil Frankreichs deportiert. Unter den unmenschlichen Lagerbedingungen in Gurs starb-jährige Großmutter Nanette Heilbrunner am 22. August 1941 (seine eigene Beschreibung der Deportation und der Lebensumstände in Gurs finden Sie auf den Seiten seiner Mutter Sofie Heilbrunner und seiner Großmutter Nanette Heilbrunner). In den ersten Monaten in Gurs konnte er im Herbst 1940 mit Hilfe von Siegfried Nelson, der zufällig in seiner Baracke lebte und Vater seines Freiburger Freundes Gerhard Nelson war, noch über die Schweiz Briefe an Sessi Adler schicken, erfuhr aber nicht mehr, dass der dreiköpfigen Familie Adler im April 1941 die Flucht in die Vereinigten Staaten über Lissabon geglückt war (die erhaltenen Briefe hat Siegfried Nelsons Enkel Joachim Nelson dem Jüdischen Museum Emmendingen freundlicherweise als Dauerleihgabe überlassen).
Am 8. August 1942 gehörten Sofie und Rolf Weinstock zu einem Kontingent von 600 Personen, die im Rahmen der zwischen französischen und deutschen Behörden vereinbarten Massendeportationen der im unbesetzten Teil Frankreichs in Lagern internierten oder anderweitig aufhältigen „staatenlosen“ Jüdinnen und Juden von Gurs in den besetzten Teil Frankreichs abgeschoben wurden. Nach einer fast zweijährigen Internierungshaft in Gurs und einem dreitägigen Zwischenhalt im Sammellager Drancy, wo dieser Transport aus Gurs am 9. August 1942 eintraf, wurden Sofie und Rolf Weinstock im 18. Transport des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) am 12. August 1942 in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Der Zug mit 1007 Jüdinnen und Juden kam nach zweitägiger Fahrt am 14. August 1942 an der „Judenrampe“ zwischen Stammlager Auschwitz I und Birkenau an. Rolf Weinstock wurde als „arbeitsfähig“ eingestuft und bekam die Lagernummer 590000. Zusammen mit 62 Frauen (Häftlingsnummern 17069–17130) und 232 Männern des Deportationszuges, die die Nummern 58785–59017 erhielten, wurde er als Häftling ins Lager eingewiesen; unklar bleibt, ob zunächst in das Stammlager oder nach Birkenau. Die übrigen 712 Deportierten, darunter Sofie Weinstock, wurden noch am Tag der Ankunft in der Gaskammer von Auschwitz-Birkenau ermordet.
Laut eigenen Angaben kam Weinstock nach der Aufnahmeprozedur in ein nicht näher bezeichnetes Arbeitskommando, das unter anderem tiefe Wassergräben auf dem Lagerareal von Auschwitz-Birkenau ausheben musste. Wie lange Weinstock in diesem Arbeitskommando war, ist nicht genau bekannt. Vermutlich schon Ende August oder Anfang September 1942 gehörte er nach eigenen Angaben zu einem 200 Mann starken Kontingent, das ins KZ-Außenlager Jawischowitz überstellt wurde und von dem 150 Häftlinge dort in den Kohlegruben zum Arbeitseinsatz kamen. Dieses, in der ersten Jahreshälfte 1942 errichtete Lager war am 15. August 1942 mit der Überstellung von 150 Häftlingen aus Auschwitz-Birkenau eröffnet worden und befand sich laut Weinstock auch bei dessen Ankunft noch „im Aufbau“. Bis Ende 1942 wurden in dem Nebenlager bereits rund 700 Häftlinge untergebracht. Weinstock musste bis zur Lagerauflösung im Januar 1945 im Bergwerk Brzeszcze-Jawischowitz schwerste Zwangsarbeit verrichten. Neun Tage vor der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945 trat er mit anderen KZ-Häftlingen den Todesmarsch in das KZ Buchenwald an, wo er am 25. Januar ankam. Am 11. April 1945 wurde er dort mit seinen Mithäftlingen von amerikanischen Einheiten befreit.
Weinstock war der einzige aus Emmendingen stammende Auschwitz-Überlebende und kehrte am 5. Juni 1945 nach Emmendingen zurück. Dort gehörte er zum ersten Bürgerausschuss der Stadt nach dem Krieg. Er wurde Leiter der Betreuungsstelle für die Opfer des Nationalsozialismus. Außerdem war er Gründungsvorsitzender des Kreisverbands der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Als Beauftragter des Auschwitzkomitees in der französischen Zone setzte er sich für die „Wiedergutmachung“ von NS-Verfolgten ein. Für die Ermittlungen im Rahmen der Synagogenbrandprozesse zu Emmendingen am Landgericht Freiburg 1947-1949 gaben Rolf Weinstocks Zeugenaussagen entscheidende Hinweise.
In Freiburg und Emmendingen wurde Weinstock auch in der Nachkriegszeit diffamiert und erhielt menschenverachtende, antisemitische Drohbriefe, drunter jene anonyme Postkarte, die im Jüdisches Museum Emmendingen ausgestellt wird.
Weinstock begann seine Erinnerungen an die Verfolgung zusammenzufassen und hatte bereits im Juli 1945 eine tagebuchartige Textskizze zusammengestellt. Damit hatte Weinstock eines der ersten Bücher über die Judenvernichtung nach dem Krieg vorbereitet. Die Suche nach einem Verlag erwies sich indessen als schwierig. 1948 fand sich schließlich der kommunistische Volks-Verlag in Singen (Hohentwiel) bereit, Weinstocks Buch zu verlegen. Mit dem liberalen Willi Karl Hebel (1912–2005) aus Schwenningen war auch ein Drucker gefunden, der das Buch mit dem Titel „Das wahre Gesicht Hitler-Deutschlands“ mit einer Auflage von 5000 Exemplaren druckte.
Weinstocks Bericht wurde jedoch kaum gekauft und gelesen. 1950 sollte sein im Sinne der DDR-Ideologie überarbeitetes Buch unter dem Titel „Rolf, Kopf hoch!“ im VVN-Verlag erscheinen, scheiterte aber auch dort. Ein Großteil der Auflage wurde noch am Tag des Erscheinens makuliert. Der Grund für dieses Vorgehen lag vermutlich in Weinstocks Schilderung der Befreiung des Lagers Buchenwald, die nach DDR-Geschichtsschreibung eine Selbstbefreiung durch kommunistische Häftlinge war, während Weinstock das Anrücken der amerikanischen Panzer als wesentlich für die Aufgabe des Lagers angab.
Rolf Weinstock initiierte die Errichtung des VVN-Mahnmals „Den Opfern des Nazismus 1933–1945“, das 1948 am Städtischen Friedhof Emmendingen, nahe dem Haupteingang, aufgestellt wurde. Bei dessen Einweihung hielt Weinstock in seiner Funktion als Zonenbeirat der VVN eine Ansprache, in der er im Besonderen der Emmendinger Jüdinnen und Juden gedachte, die am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert worden waren. Noch in der Nacht vor der Einweihung war das ''Ehrenmal für die Opfer des Nationalsozialismus des Landkreises Emmendingen'' von Unbekannten beschädigt worden.
Weinstock war seit dem 8. Juni 1946 mit Elsa Porsch verheiratet, mit der er einen Sohn und eine Tochter bekam. An Tuberkulose erkrankt, starb Rolf Weinstock im Alter von 32 Jahren am 2. Dezember 1952 in Freiburg an den Folgen seiner mehrjährigen KZ-Haft und wurde im nichtjüdischen Teil des städtischen Friedhofs Emmendingen (''Bergfriedhof'') im Grab der Familie seiner Frau begraben.
Im Jahr 1991 hat die Stadt Emmendingen nach langen und kontroversen Debatten eine Straße nach der Familie Weinstock benannt.
Sofie und Rolf Weinstock finden sich mit Namen und Geburtsjahr auf der „Mauer der Namen“ des Mémorial de la Shoah in Paris.
Sofie Weinstock („Verschleppt nach Gurs | Auschwitz | Sobibor | Lodz | weiteres Schicksal unbekannt“), Nanette Heilbrunner („Verschleppt nach Gurs und dort gestorben“) und Rolf Weinstock („Für alle, die widerstanden haben“) werden auf den Namensstelen neben dem Mahnmal am Städtischen Friedhof Emmendingen genannt.
Markus Wolter
Archiv | Quelle | Signatur |
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Stadtarchiv Emmendingen | Meldekarte | – |
Stadtarchiv Emmendingen | Nationalsozialistische Judenkennkarte | – |
Stadtarchiv Emmendingen | Liste Gurs | – |
Stadtarchiv Emmendingen | Getippte Liste | – |
"Verzeichnis der am 22. Oktober 1940 aus Baden ausgewiesenen Juden" (Emmendingen), erstellt vom "Generalbevollmächtigten für das Jüdische Vermögen in Baden", Karlsruhe 1940/41 | Digitalisat: Badische Landesbibliothek, Karlsruhe: https://digital.blb-karlsruhe.de/blbihd/content/titleinfo/1079922 | |
My Heritage | Deutsche Minderheiten-Volkszählung 1939 | – |
My Heritage | Jüdische Holocaust-Gedenkstätten und jüdische Einwohner Deutschlands 1939-1945 | – |
My Heritage | Berühmte Personen im Laufe der Geschichte | – |
My Heritage | Berühmte Personen im Laufe der Geschichte | – |
Arolsen-Archiv | Individual Files (male) Concentration Camp Buchenwald United States Holocaust Memorial Museum: Names from French deportations lists | – |
Arolsen Archiv | Europa, Registrierung von Ausländern und deutschen Verfolgten, 1939-1947 | – |
United States Holocaust Memorial Museum | Prisoner registration forms from Auschwitz | – |
United States Holocaust Memorial Museum | Arrivals to Buchenwald on January 22, 1945 | – |
Ancestry | Namen der Überlebenden, gedruckt in der Zeitung Aufbau Newspaper, New York, 1944-1946 | – |
Yad Vashem | Zentrale Datenbank der Namen der Holocaustopfer (online) | – |
Find A Grave | Rolf Weinstock | – |
Wikipedia Eintrag zu Rolf Weinstock von Markus Wolter | ||
Staatsarchiv Freiburg | Offener Brief des Beauftragten des Auschwitzkomitees der französischen Zone, Rolf Weinstock, Emmendingen, an die Vereinigung für Loyale Restitution, 1950 | C 5/1 Nr. 1952 |
Staatsarchiv Freiburg | Restitutionsverfahren, Kläger | F 166/3 Nr. 1791 |
Staatsarchiv Freiburg | Weinstock, Rolf, Erbe | F 166/3 Nr. 5419 |
Staatsarchiv Ludwigsburg | EL 228 b II Nr. 11453 |